Eine der grundlegenden Stilmittel beim Improtheater ist das agieren Zug um Zug – ein Schritt nach dem nächsten und immer abwechselnd. Ob Streit oder konfliktfreie Szene, die Anteile sind in etwa ausgewogen, die Sprache bezieht sich aufeinander. Aber es gibt da natürlich mehr.
Zwei Genre, die in letzter Zeit besser kennenlernte, tretem dem entgegen und überraschten mich. Denn ich hatte die Infragestellung dieses Kommunikationsverhaltens bisher gar nicht in Erwägung gezogen. Und doch stellen sie sehr effektive Wege da, Spannung und dramatische Momente zu entwickeln.
Im Stil von Lars Norén
Der Schwede Lars Norén ist hier nicht so bekannt, in seinem Heimatland gilt sein Name wie ein Gattungsbegriff. Er steht für die dysfunktionale Familie, denn darum drehen sich viele seine Bühnenstücke. Das schwedische Sprichwort “Ich hatte Norén-Feiertage” steht synony für grauenhafte Weihnachten mit der Familie.
Stockholms Improvisationsteater hat Elemente entwickelt, den Stil Noréns in eine Improshow zu bringen – und tuen das seit vielen Jahren regelmäßig. Außerhalb Schwedens nennen sie ihr Format “Stockholm Syndrom”. Viel davon geht unseren gelernten Kommunikationsformen entgegen.
Dies sind einige Stilmittel, die Stockholms Improvisationsteater nutzen:
– auf den Gesprächspartner versetzt erst nach 5-6 Sätzen zu reagieren
– 2 Sätze Belanglosigkeiten äußern, der 3 Satz sehr persönlich
– in 3er Szenen eine Person komplett ignorieren
– unerwartet einen Monolog über Belangloses beginnen, und sich ggf. d
– mit plötzlichen drastischen Worten die Aufmerksamkeit erobern
Der Effekt dieser in großer Ruhe gespielten Szenen ist enorm. Es tut als Zuschauer schon fast weh, wie sehr sie aneinander Vorbeikommunizieren und trotzdem die Spannung halten.
Stilmittel von Anton Tschechow
Der russische Schriftsteller Anton Pawlowitsch Tschechow hat in seinen Bühnenstücken ebenfalls eine eigenwillige Art der Kommunikation. Für den Berliner Impro Marathon leitete Dan Richter von Foxy Freestyle eine Genre-Show an.
Stilmittel, die wir in der Show verwendet haben:
– das Gegenteil tun von dem was wir sagen (“Wir gehen jetzt hoch” und keine Anstalten machen loszugehen)
– auf den anderen in einer Antwort zwar eingehen, aber letztlich wieder bei der eigenen Ausgangsaussage landen
– viel mehr Raum einnehmen mit einem Monolog und überproportional Zeit beanspruchen
– in einer Szene sein und lange Zeit gar nichts sagen
– in der Vergangenheit schwelgen oder in Zukunftsplänen, aber nie im hier und jetzt sein
Vieles dreht sich bei Tschechow darum, sich eben nicht zu bewegen oder zu verändern. Und dieses Statische hat sowohl Kraft wie auch Humor … aber auch Längen.
Was folgt daraus
Diese Werkzeuge sind spannend, nicht nur in Genre-Shows. Sie schärfen die Wahrnehmung auf die Form ebenso wie auf den Inhalt. Sie reichern das Repertoir der Möglichkeiten an. Allerdings ist das tatsächlich etwas, was trainiert werden muß – denn sonst fühlt sich das für das ungeübte Improauge wie ein Block an.
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