Wenn die Wahlsaison beginnt, wird es hässlich. Wahlplakate der Parteien belügen uns nicht nur, sie verschandeln die Stadt schon mit der schieren Menge. Jede Laterne – oft doppelt und dreifach behangen, jeder Kreisverkehr und jede Freifläche wir zusätzlich zur “normalen Werbung” genutzt.
Neben den inhaltlichen Qualen ergreift mich als Designer auch optisch oft das blanke Entsetzen. Hier mal ein paar Gedanken zum Design einiger Parteien bei Großplakaten.
SPD
Dieses Plakat hat etwas. Der regierende Bürgermeister unscharf und im Hintergrund – ja das trifft sein Charisma. Aber im Ernst – das Plakat mag ich sogar. Kein Parteilogo ist die einzige mutige Entscheidung. Die in verwaschenen Farben umrahmten Slogans im Stil von Ghostbuttons allerdings strahlen für mich nichts aus – besser eben gar nicht auffallen. Verändert wird möglichst nichts, alles so “bleiben”. Ja so sieht Visionslosigkeit aus.
CDU
Innensenator und Profiunsympath Frank Henkel macht auf bodenständig. Farben positv hell und grün, sein Kind auf den Schultern, Slogan wundervoll inhaltsfrei – da geht man kein Risiko. Schade das nicht noch ein Tier mit drauf ist, dann wäre es perfekt. Das Logo “Starkes Berlin” erinnert an das Brandenburger Tor oder einen Panzer.
Die Linke
Die Linke verzichtet in den Großflächen auf Bilder. Rein typografisch steht tatsächlich Inhalt. Und es funktioniert für mich grafisch sehr gut. Souveräner Umgang mit dem Platz mit genug Freiraum, sortiert und gleichzeitig dynamisch durch Schrägstellung und Abstufungen unabhängig von Bündigkeit oder Zentralsatz.
Grüne
Die Grünen setzen auch auf Emotion – Natur, Kinder, Sonnenuntergang. Das Partei-CI mit den runden Batches ist typografisch schwierig zu bespielen, funktioniert aber oft ganz gut. Im Grunde braucht es das Parteilogo gar nicht mehr – ein Verzicht wie bei der SPD wäre hier auch möglich.
FDP
Eine Art Futurismus ausstrahlende Illustration ihres Kandidaten ist tatsächlich innovativ in der Politik – auch wenn der Wireframelook jetzt nicht wirklich neu ist. Auch der bunter und mit kraftvollen Formen einen Zeitstrahl andeutenden Hintergrund ist ein starker Blickfang. Der frisst dem Text damit auch die Aufmerksamkeit weg. Was ja auch nichts macht, bei dieser seltsam ironischen Mitteilung.
Bergpartei
Visuell ein echter Glücksfall ist diese Spaßpartei. Während sich Die Partei bei Großflächen-Plakaten zurückhält bringt die Bergpartei super spannende Grafikstile ins Spiel. Alles an den Plakaten sieht handgemacht aus – ich finde es großartig.
Piraten
Von den Piraten hab ich bisher keine Großplakate entdeckt. Die kleinen Plakate sind visuell wirklich fies. Jedoch eine Ausnahme ist bemerkenswert – dieses solarbeleuchtetes Plakat ist großes Kino.
Innovationen im Wahlkampf: Das beleuchtete Wahlplakat der @prt_xhn in der #Rigaer94 #agh16 #bvvxhain pic.twitter.com/1tPZRvjucb
— Martin Fuchs (@wahl_beobachter) 3. August 2016
Update
Nun habe ich auch von den Piraten ein großes Plakat in freier Wildbahn gesehen – dieses hier:
Dabei stellen die Kandidat*innen eines ihrer Kernthemen sinnbildlich vor. Dabei wird die Ästhetik von Stockfotos nochmal etwas überhöht. Manches Motiv wie etwa der Psychclown ist vielleicht etwas viel, aber immerhin die Idee funktioniert oft. Das auf weißem Hintergrund zu setzen läßt für mich die Wirkung der Fotos durch die Kälte etwas abschwächen.
Der Schrifteinsatz hingegen kommt direkt aus der Grafikerhölle. Räumlich verzerrt – allerdings ohne sichtbaren Fluchtpunkt wird orange Schrift eingesetzt. Dazu ist der Slogan schwarz umrandet und mit Schlagschatten ausgestattet (leider folgt der Schatten nicht der Raumachse der Schrift). Dazu ein Claim, der in einem Trapez geklemmt wird, was geometrisch als willkürlich bezeichnet werden kann. Und dann noch das Parteilogo mit Slogan mit versetztem harten Hintergrund. Das ist viel zu viel an Stilen – es fehlt ein klare Entscheidung und wirkt dadurch schwach.
Allerdings: ich kenne eine Kandidatin persönlich – und ich finde es grandios, wenn ich bekannte Gesichter auf Plakaten im Straßenbild entdecke. Und da sehe ich dann auch die Schrift nicht mehr so kritisch. Also JeZ – ich drücke dir die Daumen.
Fazit
Bei dem Ausschnitt der Plakate hier scheint es fast erträglich. Das spiegelt natürlich nicht die gesamte Bandbreite wider, was so das Stadtbild verschandelt. Und die Kleinplakate sind nochmal ein ganz anderer Schnack. Ganz zu Schweigen von den Rechtsaussen-Parteien, die ich prinzipiell nicht abbilden will. Schlimm genug das die überhaupt Wahlkampfgeld erhalten. Trotzdem bin ich froh wenn das Stadtbild wieder hinter den Plakaten zum Vorschein kommt.